Queer gegen alle Klischees

Ein verlegenes Lächeln, ein Tuscheln – noch vor wenigen Jahren wurde auch in Hamburg in vielen Bezirken nur hinter vorgehaltener Hand über Homosexualität gesprochen. Ein öffentliches Outing galt häufig als Stigma, die Angst davor war groß. Aus gutem Grund: Noch bis Ende der 1960er-Jahre waren homosexuelle Handlungen in Deutschland strafbar, tausende Männer wurden zu teilweise empfindlichen Strafen verurteilt.

© iStock.com/LemonTreeImages
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Die Begriffe "schwul" und das im englischen Sprachraum verwendete Wort "queer" – für Dinge, Handlungen oder Personen, die von der Norm abweichen – galten als Schimpfwörter. Inzwischen ist "queer" weitestgehend positiv besetzt und ein queerer Lebensstil gesellschaftlich zum Glück längst kein Tabuthema mehr. Im Gegenteil: Im Juli 2017 wurde das Gesetz zur "Öffnung der Ehe" von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet, seit 1. Oktober 2017 können endlich auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten – mit allen Rechten und Pflichten, die eine Ehe mit sich bringt. Allein in Hamburg wurden seitdem mehr als 1.000 Ehen geschlossen.

Umfragen geben eine Vorstellung davon, wie viele homosexuelle Menschen in Deutschland leben: Mit rund 7,5 % steht Deutschland europaweit gar an der Spitze – und in Großstädten wie Hamburg ist der durchschnittliche Anteil im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sogar noch höher. Das reicht zwar noch nicht dafür, dass über dem Hamburger Rathaus jeden Tag eine Flagge in Regenbogenfarben hängt – sorgt aber immerhin für eine spannende und entspannte Szene, die weit mehr ist als eine exotische Randerscheinung.

St. Georg, das Vielfaltsviertel

Ganz korrekt nennt sich die Szene übrigens LGBT. Dabei handelt es sich um eine englische Abkürzung für "Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender" – gemeint sind Schwule, Lesben und alle, die sich irgendwo dazwischen sehen. Sie finden in Hamburg die besten Voraussetzungen für ein unverkrampftes Leben. Der vermeintlich so kühle Norden zeigt sein warmes Herz – generell in der ganzen Stadt, ganz besonders aber in St. Georg: An der Langen Reihe stehen gar Ampeln, die schwule und lesbische Ampelmännchen zeigen. Eine kleine Geste, sicher – aber eine, die zeigt, was diesen Stadtteil auszeichnet: Hier wird Vielfalt gelebt.

Dabei war St. Georg lange Zeit das Sorgenkind Hamburgs, vor allem mit Drogen und Prostitution hatte der Stadtteil große Probleme. Aber das Viertel bot auch vielen Hamburgern eine Chance, die sie in anderen Bezirken nicht erhielten. Hier konnten auch Homosexuelle schon früh das Leben führen, das ihnen andernorts noch verwehrt war. Hier guckte niemand verschämt zur Seite, wenn gleichgeschlechtliche Paare Hand in Hand spazieren gingen. Im Gegenteil, hier war das Normalität.


Natürlich ist St. Georg viel mehr als nur ein queerer Stadtteil. Und natürlich ist Homosexualität inzwischen in allen Stadtteilen zu Hause. Dennoch: Vor allem die Straßen hinterm Deutschen Schauspielhaus führen noch immer zu den wichtigsten Plätzen einer schwulen und lesbischen Szene. Von Frisörsalons, Kosmetikstudios und Modeboutiquen über Beratungsstellen bis hin zu Buchläden – alles ist hier vorhanden, und einiges davon explizit auf das gleichgeschlechtlich liebende Publikum abgestimmt.

Und diesen Ruf hat das Viertel weit über die Stadtgrenzen hinaus. Denn nicht überall in Deutschland ist es so leicht wie in Hamburg, nach seinem Gusto zu leben – und dazu passende Partner zu finden. In einer Großstadt wie Hamburg und vor allem auf St. Georg ist das kein Problem. Dennoch sollte man es vermeiden, St. Georg ein "Homosexuellenmilieu" zu nennen. Bei diesem Begriff fragen sich Schwule und Lesben, wo genau dieses Milieu denn sein soll. Schließlich gibt es Homosexualität in jedem Milieu, also in jedem sozialen Raum.

Eine Frage der Sprache

Wo wir gerade dabei sind: Formulierungen wie "bekennend" oder "überzeugt" in Verbindung mit schwul oder lesbisch könnten verletzend aufgefasst werden: Homosexualität ist keine Straftat, keine Sünde und auch kein Glaube, zu dem man sich bekennt. Und auch wenn "Lesbierin" vielleicht eigentlich gut gemeint ist: Der Begriff stammt aus der Medizin und Psychiatrie und beschreibt ein von der Norm abweichendes Verhalten. Und ganz wichtig: Wie jemand mit seiner sexuellen Orientierung öffentlich umgeht, sollte ihr oder ihm selbst überlassen sein.

Trotz aller Toleranz: Es gibt noch immer in einigen Bereichen Nachholbedarf, zum Beispiel im Sport, insbesondere beim Fußball. Hier überlegen sich viele Sportler ganz genau, ob sie sich trauen, über ihr Privatleben zu sprechen. Um dem entgegenzuwirken, gibt es in Hamburg Sportclubs und Vereine, in denen die Mitglieder nicht nach ihrer Sexualität, sondern nach ihren Fähigkeiten beurteilt werden. Auch in vielen Familien muss der Umgang mit Homosexualität gelernt werden.

Manche Eltern erwarten, dass sich die Tochter für einen Jungen, der Sohn für ein Mädchen interessiert, dass er oder sie vielleicht heiratet und eine Familie gründet. Offenbaren die eigenen Kinder dagegen ihre Homosexualität oder spüren Eltern, dass der Sohn schwul oder die Tochter lesbisch ist, so ist es für viele Erwachsene erst einmal schwer, sich dieser Tatsache zu stellen. Beratungsstellen helfen dabei, dass sie diese Herausforderung nicht alleine bewältigen müssen. Dazu gehört es auch, mit Klischees aufzuräumen, zum Beispiel dass alle lesbischen Frauen raspelkurze Haare haben und alle schwulen Männer am liebsten Rosa tragen – fragen Sie mal Anne Will oder Klaus Wowereit.

Ein Grund zum Feiern

Einmal darf es in Hamburg außerdem ganz hoch her gehen: Zum Christopher Street Day, oder kurz CSD, zeigt die LGBT-Community Flagge. Mit dem CSD wird wieder gegen Diskriminierung und Ausgrenzung protestiert und für mehr Toleranz geworben. Das Fest beginnt mit der sogenannten Pride Week, in der es eine Reihe kultureller Aktivitäten zu bestaunen gibt, wie zum Beispiel Gay-und-Lesbian-Filmfestivals, -Theateraufführungen und -Ausstellungen. Das Festival richtet sich übrigens nicht nur an Schwule und Lesben, jeder ist willkommen, der beim CSD mitfeiern will. Schließlich haben alle Hamburger nur einen Wunsch: Sie wollen gutes Leben führen. Und dafür ist Toleranz gegenüber den Mitbürgern der wichtigste Schlüssel, dafür lohnt es sich ganz offen auf die Straße zu gehen – gerne auch bei einem Ereignis wie dem CSD. Die individuelle Sexualität dagegen, die ist Privatsache.

Links zum Thema "Queeres Leben in Hamburg"

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